14.10.2011 Transsibirische Eisenbahn (Sljudjanka - Ulan Ude)

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Angekommen in Ulan Ude, erfreuen wir uns auch gleich der Verfügbarkeit von Internet und verbringen doch tatsächlich fast den ganzen Tag in einem Selbstbedienungsrestaurant... ist aber auch kalt und windig draußen!

Hier in Ulan Ude haben wir uns in einem preiswerten Hotel (Эоломоц Колос) am hintersten Ende der Flanier- und Shoppingstraße eingebucht. Wir rätseln noch, ob das Etablissement auch teilweise die Zimmer stundenweise verbucht, da wir eindeutige Geräusche beim Zimmercheck gehört haben. Auch in der Straße vor dem Hotel lässt der Aufzug einiger Damen sowas vermuten. (Susi, es erinnert uns stark an unsere Unterkunft in Lyon, nur kann sich Pablo diesmal nur eine Dame leisten :) ) Aber, dafür haben wir eine sehr gute Markthalle direkt vor der Tür, in der es einen fantastisch ausgestattete Bäckerer-Abteilung gibt mit feinen Leckereien. Während tagsüber die Straße etwas zwielichtig mit ihren kleinen Chinawaren-Ständen und rumlungernden Gestalte, ist sie nachts aber wie leer gefegt, ruhig und sicher.

Wie bereits berichtet sind wir von Port Baikal mit einem Bummelzug, der s.g. Baikalrundbahn, durch die Nacht nach Sljudjanka gefahren, wo wir einen ganzen Tag und eine Nacht verbrachten. Warum, das wissen wir so im Rückblick auch nicht genau. In Port Baikal trafen wir zwei andere Reisende, die bereits in diesem Ort waren und es war auch ein Wunschziel einer Französin, die in der gleichen Unterkunft mit uns in Listvianka wohnte. Begeistern konnten wir uns jedoch nicht für den Ort. Sljudjanka hat einen riesigen Güterbahnhof und das Wachstum der Stadt wurde wohl damals künstlich durch die Bahn und einen großen Umschlagbahnhof gefördert. Städtebauliche oder kulturelle Highlights haben wir nicht gefunden (nicht mal ein Internetcafé!), dafür fast an jeder Ecke Müllhaufen oder ganze Deponien. Bezeichnend ist auch, dass sich die beiden wichtigsten Häuser der Stadt, das Rathaus und die örtliche Verwaltung der russischen Bahn am Hauptplatz gegenüber stehen. Während beim leicht maroden Rathaus eine Glühbirne (ohne Lampenschirm) über der Eingangstür ausgetauscht wurde (der Hausmeister bat sogar einen Passanten seine Leiter kurz zu halten), wurde das Bahnhaus von mindestens fünf Malern komplett neu gestrichen und war sehr ansehnlich. Dies versinnbildlicht wohl auch die Machtverhältnisse im Ort - die Bahn war und ist primärer Arbeitgeber und Grund sich hier auszuhalten; städtisches Leben, wie wir es kennen, findet nicht statt. Schon allein das Suchen einer Unterkunft in diesem Ort war extrem mühsam, da es schlicht und ergreifend nicht vorgesehen scheint, Gäste zu empfangen. Man bot uns, nach 3 Studen Suche, im Bahnhofsgebäude Zimmer (mit oder ohne Bett) auf Stundenbasis an. Das klingt verrucht, ist aber in Russland gängige Praxis. Wir haben uns die Zimmer angeschaut und sie waren sehr sauber und gemütlich. Befremdlich jedoch, dass man auch ein Büro (Tisch, Stuhl, Sofa) mieten kann, in dem wir dann unsere Isomatten hätten ausbreiten können. Dieses Büro kostet 34 RUB (ca. 75 Cent) die Stunde und pro Person. Klingt erst mal recht günstig, akkumuliert sich jedoch natürlich für eine ganze Nacht. Da wir unsere Skepsis gegenüber diesem Angebot deutlich zeigten, betonte die kommunikative und deutschsprechende Bahnhofsangestellte, dass wir uns als Deutsche nicht über so einen Preis beschweren dürfen. Selbst als Arbeitsloser in Deutschland bekäme man noch ca. 10€ am Tag und überhaupt reist man dann nicht durch die Gegend. Unser Konzept Weltreise vom Ersparten, mit möglichst geringen Ausgaben, wollte sie nicht so recht einsehen (das nächste Mal muss eben doch der Studentenstatus herhalten). Interessanter Weise hatte sie dann aber plötzlich eine Bekannte, die auch Zimmer vermietet und die sie für uns anrief. Unterm Strich hatten wir dann ein Doppelzimmer in einem kleinen Haus in der Nähe des Bahnhofs und direkt am See für 700 RUB die Nacht für zwei Personen (das Bürozimmer hätte uns 680 RUB, ohne Dusche, für 10h gekostet).

Im Haus empfing uns jedoch nicht die Hausherrin, sondern ein anderer Untermieter, Sascha, der auf einer Baustelle auf der anderen Straßenseite arbeitete. ­Sascha zeigte uns alles (Zimmer, Küche, WC) und meinte, dass die Hausherrin gegen 20Uhr kommt und dann auch die Dusche aufgeschlossen wird. (Dieses ewige Verschließen der Duschen hier in Russland bleibt ein Rätsel.) Als die gute Dame um halb 10 noch immer nicht erschienen war, öffnete Sascha kurzer Hand den Duschraum mit einem großem Küchenmesser und verschloss ihn, vielsagend lächelnd, wieder, nachdem alle geduscht hatten. Sascha nutzte den Abend weiter, um mit Hilfe seiner Digitalkamera seine schöne Heimat, den Baikal, vorzuführen. Er zeigte Fotografien und Videos die er in seiner Freizeit (wohl muss er sie allein verbringen da er auswärts seines Heimatortes "auf Montage" lebt) aufgenommen hatte. Mit dabei schöne Sonnenuntergänge und magisches Wellenrauschen, wie wir es selbst erlebt haben, aber auch böse Umweltverschmutzung und Naturzerstörung. So kamen wir kurz, auch ohne gemeinsame Sprache, ins Schimpfen auf rücksichtslosen (Lokal-)Tourismus und unreguliert gewinnorientierte Industrieentwicklung... Sascha - vielleicht der pfiffigste und angenehmste Russe, den wir auf dieser Reise (bis jetzt?) trafen. Einen kurzen Schock gab es dann noch beim Bezahlen der Unterkunft, als die Hausdame mit einmal 1200 RUB für die Nacht verlangte, was jedoch durch eine telefonische Rücksprache (wohl mit der Frau vom Bahnhof) schnell geklärt werden konnte.

Am nächsten Morgen sind wir früh von Sljudjanka mit der Bahn (Teilstrecke der Transsibirischen Eisenbahn) nach Ulan Ude gefahren, diesmal nur 6h, jedoch mit 100%ig russischem Flair. Kurz nach der Abfahrt schälte sich unser Gegenüber aus dem Bett und suchte auch schnell den Kontakt zu uns, leider wieder ohne gemeinsame Sprache. Nach kurzer Zeit kam auch der obligatorische Vodka in Form eines 5 Literkanisters (ehemalige 5 l Bierflasche) auf den Tisch. Der gute Stoff war offenkundig selbst gebrannt, jedoch haben wir ihn dankend abgelehnt. Schon allein der Geruch ließ einen Ungeübten nahezu erblinden. Auch unser Mitreisender zelebrierte das Trinken wie die Einnahme einer übel schmeckenden aber notwendigen Medizin. Pflichtbewusst, ca 1 mal die Stunde, setzte er sich aufrecht hin, atmete ein paar mal tief ein und aus, griff zum Glas und verzog nach einem kräftigen Schluck leicht angewidert das Gesicht. Anschließend aß er präparierte ZItronenscheiben und das gleich mit Schale. Nachdem die Zitronenscheiben alle waren, nahm er unsere zuvor abgelehnten Kekse an, und zwar genau danach berechnet, wie oft er auf seiner Reise noch vom Vodka trinken muss (demnach noch ca 7h, da 7 Kekse). Der gute Mann ließ Pablo auch an seiner Lekture, einem im Zeitungsformat verlegtes Herrenmagazin, teilhaben und zeigte ihm die nackten Frauen mit Hinweis auf die großen Oberweiten. Wenn Pablo ihn richtig verstanden hat, fragte er dann (wahrscheinlich in Hinblick auf mich) besorgt, ob es in Deutschland auch Frauen mit großen Brüsten gäbe. Davon abgesehen zeigte er natürlich auf Fotos von Frau und Kind und berichtete von seiner Arbeit im Hochspannungsleitungsbau (hoffentlich ist er da nüchtener, sonst wird es in Russland noch dunkler und es wird nichts mit Lenins Elektrifizierung).

Diesmal hatten wir einen Zug von neuerer Bauart, so richtig mit LED-Anzeige für Waggonnummer, Temperatur und Belegung der Toiletten. Aber sowas wichtiges, wie wann der nächste Bahnhof erreicht wird, wird leider nicht angezeigt (kann man aber auch auf dem laminierten A4 Blatt an der Zugbegleiterabteiltür nachlesen). Leider hatten wir genau die Plätze bekommen, die nicht zum Baikal raussahen, sondern zur Bergseite mit teilweise bereits leicht beschneiten Gipfeln. Die Fenster konnte man leider nur einen Spalt breit öffnen (im anderen Zug ganz), so dass man durch die schmutzigen Fenster fotografieren musste. Aber unterm Strich war die Landschaft auch nicht viel anders, Birken, Dörfer, Kabel, Flüsse und endlose Güterzüge, aber doch ein bisschen abwechslungsreicher als in den ganzen vier Tagen von Moskau nach Irkutsk.

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