06.12.2011 Shanhaiguan - gut zu wissen, unnötig zu sehen
Aus RTW
Ausländer als Gäste unerwünscht - Trostlosigkeit zwischen Ruinen und Hochhäusern - hartnäckige Touristentreiber - endlich am Pazifik
Nach einem Tag und zwei Nächten haben wir das trostlose Shanghaiguan, welches uns durch Beschreibungen, wie "wo die Große Mauer sich aus den Hügeln windet und das Meer trifft" uns ist Auge gefallen war. Leider hielt die Stadt nicht, was wir uns von ihr versprachen: eine chinesische Altstadt umgeben von einer Stadtmauer, die gen Westen zu den Berge hin und im Osten zum Meer hin in die Chinesische Mauer übergeht. Und überhaupt sollten wir endlich den Pazifik sehen, genauer: die Bohai Bucht.
Schon bei unserer Ankunft zeigte sich das angebliche Highlight der Hebei Provinz nicht besonders gastfreundlich, wie wir schon berichtet haben. Nach einer angenehmen Nacht in einem für uns ungewohnt luxuriösen Zimmer machten wir uns auf die Suche nach der charmanten Altstadt und dem bedeutenden "First Pass under Heaven" (Sinngemäß: Erster Durchgang der Mauer unter den Sternen) zu erkunden. Das zweite fanden wir schnell und begleitet durch richtungsweisende Damen, die uns plötzlich umstellten und fast zum Eingang schoben, standen wir vor der Preisliste, die wir fast pflichtbewusst studierten. Doch das Wetter war nicht einladend und die Aussicht auf ein eingerüstetes Gebäude nicht verlockend, so dass wir uns, potentielle Fotoqualität null, gegen den Eintritt entschieden. Das wiederum wollten die Damen gar nicht verstehen und drängten uns weiter zum Kassenhäuschen. Erst als ich ihnen die sprichwörtlichen leeren Taschen zeigte, lachten sie und ließen von uns ab. Wir verließen wieder die Stadtmauer und versuchten um sie herum ans anderen Ende der Stadt zu kommen, wo die Mauer die Berge hoch wandert.
Damals, erbaut 1381, teilte der "First Pass under Heaven" die Stadt in zwei Teile und verlief somit von Osten nach Westen durch die ummauerte Stadt. Bei unserem Spaziergang durchquerten wir nun also die Stadtmauer nördlich vom Pass, auf der Seite der Barbaren, und fanden uns auf einer großen freien Fläche umgeben von Stadtmauer, auf der es ein paar wenige halbverfallene kleine Häuser gab, viele Schutthaufen und noch mehr mannshohes Unkraut. Diese Tristess gepaar mit eisigen Temperaturen und leichtem Sprüh und maximal 50m Sichtweise überzeugte uns, dass dies nicht der Tag zur Besteigung der Berge westlich der Stadt war, eine Wanderung entlang der Mauerrest, die wir uns vorgenommen hatten. Am Abend sahen wir auf dem Satellitenbild von Google Maps, dass bis vor kurzem die von uns am Tage so trist vorgefundene Fläche noch voll Häuschen im Hutong-Baustil stand. Hier hat China scheinbar Großes vor! Aber leider leidet genau darunter der Charme Shanhaiguans, das immerhin den Anfang oder das Ende des größten Bauwerks der Welt innehat. Die noch vorhandene Altstadt zerfällt zusehens und wird weder gepflegt noch wieder ursprünglich aufgebaut. Ab und zu sieht man Bauplakate, die eine saubere Reihenhaussiedlung zeigen und kaum etwas mit der quirligen Verwinklungen der Hutongs gemein haben. Scheinbar wartet man hier einfach den Verfall ab, so dass man bald nur noch denn Schutt abholen muss, bevor man Neues bauen kann. Lediglich eine größere Straße erinnert an den altertümlichen Charme, der in Pingyao zur Freude der zahlreichen Touristen (auch im Winter) zur Perfektion, mit all seinen Schattenseiten, betrieben wird. Da kann Shanhaiguan leider gar nicht mithalten - hier gibt es weder charmvolles Altes, noch überkitschiges Neues. Die Straßen sind leer und die Lampions staubig und aus. Sogar Einheimische scheinen kaum noch dort zu leben. Diese wohnen nun überwiegend in den riesigen Hochhaussiedlungen, die man überall um den Ortskern findet und durch die wir auf dem Weg zum Laolongtou (Drachenkopf) mussten. Zum Glück fanden wir auch zwischen den leblosen Fenstern der Plattenbauten ab und zu etwas zum schmunzeln, wie zwei Pferde, die etwas deplaziert dort weideten oder die Maisverarbeitung auf dem Dach eines kleinen Häuschens und ab zu sogar ein lächelnder Chinese.
Auch bei Laolongtou wurden wir wieder von aufmerksamen Frauen zum Eingang gewiesen, wo wir uns, gegen das Drängen eines weiteren Mannes, gegen die Gebühr entschieden. Lieber wollten wir uns direkt vom Strand anschauen, wo die Mauer ins Meer mündet. Dort, am Pazifik, war es dann aber so ungemütlich kalt und windig, so dass wir schnell, vorbei an einem Kamel, welches auf zahlende Fotokundschaft wartete, wieder den Rückweg antraten, nachdem wir kurz geschaut und einige Fotos gemacht hatten. Somit hat Shanhaiguan leider nicht gehalten, was wir uns versprochen hatten. Die Symbolträchtigkeit des Ortes findet sich leider nicht in der Stadt wieder, wodran sicher auch ein wärmerer Sommertag nichts ändern würde. Aber irgendwie ist er dann doch wieder ein Muss, wandert man entlang der Mauer und möchte irgendwie ein Ende eines 8851,8 km langen Bauwerkes erreichen und einen Abschluss finden - eine Wanderung, die trotz Shanhaiguan, in unsere Wunschliste "irgendwann mal als Jahrsurlaub" kommt.