19.11.2011 Pingyao und Zhāngbì Cūn

Aus RTW

Touristenmeile in Pingyao - kulinarischer Rundgang mit der bisher besten Rinder-Nudel-Suppe - Tagesauflug unter Tage - Zugticketkauf nach Beijing - nächtlicher Orientierungslauf auf der Suche nach der Busstation

Am Abend des 16. November sind wir gegen 23 Uhr mit dem Zug nach Pingyao. Diesmal waren wir pünktlich gute 30 Minuten vor der Abfahrt des Zuges am Bahnhof und in der Wartehalle und trotzdem gefühlt ganz hinten in der Schlange. Als der Durchgang zum Zug (hier wartet man bis zum Einstieg in der Wartehalle) geöffnet wurde, wurden wir mit etlichen anderen zum Zug geschoben, so dass wir schon wieder Zweifel an der Sicherheit unserer gebuchten Plätze hatten. Aber das erwies sich diesmal als komplett unnötig. Schon beim Einstieg in den Waggon verlief alles sehr geordnet. Für unsere Zugtickets bekamen wir, aus einem zackig geblätterten Steckbüchlein, Plastikkarten (quasi als Bordausweis) und im Waggon selbst herrschte richtig gehend "Ruhe und Ordnung". Lediglich bei der Zuordnung der Betten waren wir - chinafremd - verunsichert, da jeder Sechserabschnitt (zwei Dreistockbetten) nur zwei Nummern hat. Wir hatten 15 und 16 und bekamen die unteren Betten. Irgendwie, für uns noch nicht zu entschlüsseln, steht auf dem Ticket, wo man schläft: oben, mitte oder unten. Die Zahl beschreibt lediglich die Reihe im Waggon. Ganz unerwartet, da wir Hard Sleeper gebucht hatten, lag sogar bezogenes Bettzeug zur Verfügung und gleich nach der Abfahrt wurde das Licht gedimmt und es war sehr leise - ideal zum Schlafen.

Das Ende der Nacht und somit der Ausstieg in Pingyao kam dann jedoch überraschend schnell. Noch während wir gemütlich unseren Kaffee trinken wollten (heißes Wasser wird jeder Sitzgruppe gratis durch den Schaffner in einer Thermoskanne gebracht), kam schon die Ankündigung durch das Zugpersonal. Mit den Kaffeebechern in der Hand standen wir somit bereits um 6:45 im Dunkeln auf dem Bahnhof. Im Dunkeln lassen wollten uns jedoch nicht die vielen Taxifahrer, die uns gleich umschwärmten und lauthals ihren Service und Hostels anpriesen. Bis auf einen konnten wir alle abwimmeln und uns zu Fuß auf die Suche nach einer Unterkunft begeben. Ein Fahrer folgte uns jedoch hartnäckig mit seiner Rickscha, fuhr ein Stück voraus, sprang raus und hielt uns immer wieder das Prospekt eines Hostels unter die Nase: "Looka (= "schaut nur"?!), Looka, for free,...". In der Hoffnung ihn mit unserer Preisvorstellung in die Flucht zu schlagen, schrieben wir 80 RMB auf und sagten, dass wir mehr nicht zahlen würden. Jedoch, anstatt aufzugeben, ging er auf den Preis ein und meinte, dass wir ein Doppelzimmer ohne Bad dafür bekommen würden. Noch immer skeptisch gingen wir eine Weile mit unserem Rikschafahrer im Schlepptau weiter, bis der Fahrer Pablo ein Telefon ans Ohr hielt damit er mit dem Besitzer des Hostels sprechen konnte. Als auch dieser unseren Preis bestätigte (ein Doppelzimmer kostet offiziell 150 RMB aber gehandelt wird in der Nebensaison wohl immer), gaben wir quasi auf und ließen uns in der zugigen Rikscha zum Hostel fahren. Wie fast zu erwarten, gingen dort die Preisverhandlungen erneut von vorne los. Erst nach dem wir das Versprechen abgegeben hatten, dass wir niemanden von unserem "Sonderpreis" erzählen, bezogen wir ein kleines Doppelzimmer mit eigenem Bad (sprich: "Nasszelle") im hintersten Eck des Hauses für 80 RMB. Der Sieg war unser.


Da saßen wir also schon um kurz nach 8 Uhr im Hostel und wussten nicht was tun. Nach einigen Small Talks mit anderen Gästen, machten wir uns auf den im Lonely Planet als authentisch mittelalterlich chinesisch angepriesenen Ort ("[...] picture-perfect ancient walled settlements oozing character and charm from each nook and adorable cranny", China, 2011, Lonely Planet) zu erkunden. Das Hostel selbst liegt direkt an einer der Haupt-Touristen-Straßen der Innenstadt und passend zum Touristenort strotzt diese nur so vor Läden, die Unmengen Souveniers und chinesische Spezialitäten (Tee, getrocknetes Fleisch) verkauften. Aber ab und zu gab es auch kleine Garküchen und einige Straßenhändler, deren Existenz man ihnen wohl auch in einem weniger touristischen Umfeld abgenommen hätte, insgesamt wirkte das Ganze aber ziemlich künstlich - wich man nur wenige Meter von den ausgetretenen Pfaden ab, fanden sich "nur" Hinterhöfe und normales Leben - geschäftiges Markttreiben heimischer Menschen findet hier, innerhalb der angeblich komplett originalen (wir sind sind ob des Bauzustandes skeptisch) Stadtmauern, wohl schon lange nicht mehr statt. Dies bestätigte sich bei einem Ausflug außerhalb der Stadtmauern: Hier zeigt sich Pingyao als quirlige, chinesische Kleinstadt, wie sie den heutigen Erwartungen näher kommt - zwar weniger historische Gebäude und rote Lampions, dafür echte Menschen, duftende Gewürze, dampfenden Hefeteig, frisch frittierte Sonderbarkeiten und außerordentliche Anblicke allendhalben. Im Friseurladen wurde, was das Unterfangen Haareschneiden dann erstmal aufs Abstellgleis brachte, am Boden auf einem kleinen Höckerchen, Nudelteig gerollt. Will man sich ein Haus einrichten, so gilt es hier auf einer endlos erscheinenden Meile von "Fachhändlern" ein jedes Bauteil bei dem auf dieses spezialisiertes zu erwerben - sehr sehenswert. Am Abend waren wir in einer winzigen Garküche außerhalb der Stadt essen, in der wir uns, da alles auf chinesisch, vertrauensvoll ein Gericht empfehlen ließen. Heraus kam, nach dem wir schon Schlimmstes befürchtet hatten, eine sehr leckere Rinder-Nudel-Suppe mit frisch geschnittenen Nudeln für günstige 7 RMB (ca. 80 Cent), von der wir heute noch schwärmen. Auch für frittierte Teigbällchen mit einer Dattelfüllung lief ich gern noch mal die lange Straße entlang.

Während der erste Tag in Pingyao somit einem kulinarischen Rundgang gleich kam, wurde es am zweiten Tag wieder etwas kultureller mit einem Ausflug nach Zhāngbì Cūn, einem kleinen Ort mit 800 Jahre alten Gebäuden aus der Yuan-Dynastie und einem 1400 Jahre alten Tunnelsystem, Teil eines Verteidigungssystems aus der Sui-Dynastie. Gemeinsam mit dem österreichischen Paar, mit dem wir schon die Ausflüge in Datong unternahmen, mieteten wir über unser Hostel (Harmony Hostel) ein Taxi für 240 RMB, inklusive Gebühren für den englischsprechenden Führer, den man für die Begehung der Tunnelanlage braucht. Der Eintritt zu den Tunneln und ein anschließender Rundgang durch den Ort mit seinen Tempeln kostet pro Person 50 RMB, obwohl man den Ort selbst auch ohne Führer besuchen kann, aber mit Führung erfährt man eben mehr über die Sonderbarkeiten des Ortes. So liegt der südliche Teil des Ortes tiefer als der nördliche und Yin und Yang des Ortes sind somit im Ungleichgewicht. Um dieses auszugleichen, wurden im südlichen Teil mehr Tempel gebaut als im nördlichen und die beiden Dorfteiche haben Formen, die im Chinesischen für Glück stehen. Die meisten Tempel wurden während der "Kulturrevolution" zwischen 1966 bis 1976 mehr oder weniger stark zerstört (und vor kurzem wieder aufgebaut), doch einer hatte, auf Grund seiner Ausrichtung gen Norden (anders als üblich gen Süden) überlebt, da dieser nicht als Tempel erkannt wurde und rechtzeitig von den Einwohnern des Ortes mit Erde verschlossen wurde. Eine weitere Besonderheit ist das Pfauenblau, welches für die Dachbemalung eines der Tempel und zweier Steinplatten (explizit als die einzigen ihrer Art in China hervorgehoben - warum wissen wir nicht) mit Inschrift verwendet wurde. Die Formel für die Herstellung des Blaus aus natürlichen Materialien kann wohl nicht mehr nachvollzogn werden, sodass schon allein die Farbe als Kunstschatz gilt. Der Ort hat uns sehr gefallen. Es gab weder Touristenströme noch Souvenierstände, dafür unebene Stolpersteingassen und Eselskarren. Aber wie überall ist dieser kleine Ort von akuter Abwanderung bedroht, so dass viele Gebäude schon leer stehen und nicht mehr gepflegt werden. Die Tunnel selbst, ja, das waren halt Tunnel, durch die man spazieren kann und bei denen man ab und zu (historisch höchst fragwürdigen) Stolperfallen für Pferde und Ruhekavernen für Generäle und Soldaten bestaunen kann. Ab und zu gibt es einen Ausgang zu einer Klippe, der gleichzeitig bei Flutung durch den Feind als Abfluss dienen kann. Ohne Führer ist man in den winzigen Gängen sicher schnell verloren, aber mit muss man nur ab und zu auf seinen Kopf aufpassen und kann 1,5 km Tunnelsystem von insgesamt 10 km besichtigen. Über die tatsächliche kriegerische Verwendung der Tunnel gibt es keine Aufzeichnungen und daher wird davon ausgegangen, dass sie nie aktiv genutzt wurden.


Am Abend des Ausfluges beschlossen wir noch Bahntickets für die Weiterreise nach Beijing zu kaufen. Aber bevor es wieder in eine große Stadt gehen sollte, wollten wir zu erst noch ein wenig China ohne Touristenshops und überteuerte Imbissstände entdecken. Insperiert durch ein Gespräch mit einem Amerikaner, der ebenfalls gern abseits der Touristenpfade wandelt, wollten wir gemeinsam mit ihm Richtung Südwesten zu dem kleinen Bergdorf Lǐjiāshān bei Qìkǒu. Die Bustickets für die Fahrt wollten wir erst im Bus oder bei Abfahrt am Bahnhof kaufen. Doch für die anschließende Fahrt nach Beijing wollten wir uns bereits die Zugtickets von Tàiyuán sichern, da man immerzu hört, dass Zugtickets für Ausländer Mangelware sind und diese am Besten über die jeweiligen Hostels zu erstehen sein. Auch im Harmony Hostel bat die Gastgeberin wieder nachdrückliche ihre Dienste an, wenn andere Reisende erfolglos vom Bahnhof wiederkamen. Woher die Hostels jedoch die Tickets dann immer organisieren, bleibt ungeklärt; Vetternwirtschaft darf unterstellt werden. Wir konnten jedoch ohne Probleme unsere Schlafwagentickets kaufen. Vorsorglich hatten wir die Städte in chinesischen Zeichen aufgeschrieben, aber die Dame am Schalter konnte sogar ein bisschen Englisch (absolute Ausnahme), so dass wir ganz schnell unsere Tickets in Händen hielten. Diesmal konnten wir uns sogar aussuchen, wo wir schlafen wollten: ganz oben, mittig oder unten. Wir entschieden uns auf Grund unseres sperrigen Gepäcks für ganz unten, was jedoch, wie sich noch zeigen sollte, als nicht so ganz glückliche Wahl herausstellte. Anschließend machten wir uns auf die Suche nach dem Busbahnhof, von dem am nächsten Tag der Bus nach Lichí, Umsteigestadt auf dem Weg nach Qìkǒu, abfahren sollte. Laut Lonely Planet fährt ein Bus um 7:30, jedoch bestanden die nur chinesisch sprechenden Pförtner (eine Schande, dass es von den Verhandlungen keine Video-Aufzeichnung gibt) am Betriebshof auf einen Bus um 8:30, der uns zeitlich sogar noch sympatischer war. Aber wie wir später erfuhren war die Rikscha bereits für 6:30 am nächsten Morgen bestellt und ein Teilen des Preises mit dem Amerikaner war quasi abgesprochen. Nach dem wir für die nächsten Tage noch Fertignudeltgerichte eingekauft hatten (so nah wie man in einem chinesischen Supermarkt an Outdoor-Mahlzeiten kommt), trafen wir auf das östereichische Paar, das bereits bei einem Abschiedsessen mit anderen saßen, so dass wir uns kurzentschlossen anschlossen, da wir ab dem nächsten Tag nun in getrennte Richtungen reisen würden. Da es am nächsten Morgen ja schon beizeiten zum Bus gehen sollte, ging es anschließend beizeiten ins Bett.

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Fakten

  • Zug von Datong nach Pingyao fährt um 23:17 und der Schlafplatz (Hard Sleeper) kostet 123 RMB.
  • Pingyao
    • In Pingyao am Bahnhof warten einige Taxis und Rikschas, die einen zu Unterkünften fahren, wenn man noch nichts gebucht hat. Verhandlungen um den Preis lohnen sich. Wir haben im Harmony Hostel gewohnt (was stehts Gratis-Abholung bewirbt). Siehe auch Unterkünfte in China
    • Für 150 RMB kann man ein Ticket zu allen Sehenswürdigkeiten (u.a. Wehrtürme, Bänkerhaus, Tempel,...) in Pingyao erwerben.
  • Zhāngbì Gǔbǎo (Dorf) und Zhāngbì Cūn (Tunnelsystem)
    • Die Anfahrt mit dem Taxi ist am bequemsten (Individualoption haben wir nicht näher recherchiert - schien komplex). Teilt man sich die Kosten, kommt man bei ungefähr 200 RMB für 4 Personen raus. Komplett geführte Touren werden von den örtlichen Hostels vermittelt. Sie stellen eine englischsprachige Führung sicher.
    • Der Eintritt zu den Tunneln kostet 50 RMB pro Person. Der Guide vor Ort muss extra bezahlt werden (ca. 40 RMB).
    • Die Stadt kann kostenfrei besichtigt werden. Bucht man eine Tunnelführung ist ein Rundgang mit Eintritt in die Tempelanlagen mit drin. Es kann sein, dass man ohne Führung nicht in die Tempel kommt.
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