07.10.2011 Transsibirische Eisenbahn (Moskau - Irkutsk)
Aus RTW
Der Mythos Transsibirische Eisenbahn hat sich leider nicht bestätigt. Zwar gingen die fast vier Tage (01.10. - 4.10.2011) im Zug überraschend kurzweilig vorbei, jedoch gab es auch weder extrem negative noch extrem positive Überraschungen, von denen man sonst in einigen Reiseberichten liest. Es war ganz einfach eine sehr sehr lange Zugfahrt, die man komplett in Schlafklamotten verbracht hat. WIr haben uns für die Fahrt im Großraumabteil entschieden, die weit günstiger war, als im Vierer-Coupé, welches in den meisten Fällen für Touristen angeboten und beworben wird.
Über das Warten auf den Zug haben wir ja bereits berichtet. Der Einstieg, ca. eine halbe Stunde vor Abfahrt, verlief genauso unkompliziert wie auf der Strecke von St. Petersburg nach Moskau. Unsere Zugbegleiterin kontrollierte die Tickets und kurz nach der Abfahrt verteilte sie die Bettwäsche (Handtuch, Laken, Kopfkissenbezug und weiteres Laken zum Einschlagen der Zudecke). Pro Reisenden lagen schon eine Matratze und ein Kopfkissen gerollt bereit, diese müssen selbst bezogen und auf den Liegen ausgebreitet werden. Das Gepäck kann entweder unter der unteren Liege in einer Art Bettkasten oder ganz oben auf einem Brett verstaut werden. Insofern ist es von Vorteil, wenn man bei zwei Reisenden mindestens ein unteres Bett hat, da man dann mit seinem Körpergewicht den Bettkasten vor neugierige Mitreisende schützt. Tagsüber müssen sich die Reisenden (unteres und oberes Bett) das untere Bett als Sitzfläche teilen. Während wir es vielleicht befremdlich finden würden, wenn sich andere mit auf das Bett setzen, scheinen die Russen das ganz entspannt zu sehen. Ohne Vorwarnung und ganz selbstverständlich sitzt jeder dort, wo es gerade fürs Essen oder einen Schwatz passt, selbst auf einer bereits mit zwei Leuten besetzten Bank, die nicht die Gesprächspartner sind.
Auch in der Enge der Transsib wollte es nicht so richtig zum Austausch mit den anderen Reisenden, Touristen haben wir keine gesehen, kommen. Während der ersten zwei Tage hatten wir eine sehr ruhige Mitreisende gegenüber, die Kekse und Kommunikation dankend ablehnte. Lediglich zwei Kinder erbarmten sich unser am zweiten Tag und führten uns ihre Spielzeugsammlung vor und schauten Fotos mit uns. Als Dankeschön spitzte Pablo ihnen alle Buntstifte an. Am zweiten Tag war der Zug auch ein wenig leerer und die Luft deutlich besser, welche oft abgestanden und überheizt war. Teilweise hatten wir Spitzenwerte von knapp 30 Grad im Zug, während draußen ca 5 Grad waren. Wenig passend dazu gab es nur warmes Wasser aus einem altertümlichen, mit Kohle geheizten, Samowar. Das heiße Wasser war jedoch Grundlage eines jeden Essens im Zug. Auch hier litt wieder der Stereotyp: statt russischer Spezialitäten packten die Mitreisenden asiatische Fertignudeln und Instantkartoffelbrei aus. Wir taten es ihnen gleich, da sich beim Einkauf diese Sachen als am unkompliziertesten und preiswertesten zeigten. Wir hatten vorsorglich gekauft:
- 2 kleine Brote
- 6 Knicknudeln
- Teebeutel, Instantkaffee, 4 mal 0,2l Milch, Heidelbeersirup
- Müsli und Haferflocken - löslich im heißen Wasser (scheint gern gegessen in Russland)
- Große Packung Wiener Würstchen
- Käse, Salami, Butter, Marmelade
- 0,5l Joghurt, der irgendwas anderes milchartiges war
- Birnen, Bananen
- Süßigkeiten
Damit landeten wir fast eine Punktlandung, am Ende der Reise war alles verbraucht und keiner hungrig geblieben. Zum Glück haben wir nicht auf den viel erwähnten Bahnsteigsverkauf gebaut, da dieser nur vereinzelt stattfand und meistens wenig vollwertige Nahrung feilgeboten wurde. An einem Bahnhof gab es sogar nur Plüschtiere und zwar richtig große Viecher. Der Verkauf von Essen wandelte sich interessanter Weise über die Strecke. Erst gab es Pilze und Beeren, dann ein paar gefüllte Teigtaschen, dann die besagten Plüschtiere, dann Nüsse und erst in Sima (am letzten Tag der Reise) endlich richtig viele Frauen, die alles anboten, was wir unter russischer Küche verstehen: PIroggen, Teigtaschen, Eis, Zigaretten und Vodka.
Abgesehen von den Verkäufen am Bahnhof kamen auch regelmäßig fliegende Händler im Zug durch, die Strickwaren, DVDs, Fisch und sibirische Nüsse anboten, von denen wir auch ein paar kauften, entgegen dem Rat unsere zweiten Mitfahrerin auf dem gegenüberliegenden Platz. Sie meinte, dass die Nüsse zu teuer sein und am nächsten Bahnhof weit günstiger zu kaufen wären, womit sie natürlich auch recht hatte. Diese Mitfahrerin erwieß sich dann auch als deutlich kommunikativer. Gedultig blätterte sie im Wörterbuch nach Wörtern, wofür sie immer wieder ihr Stricken unterbrach. Sie half auch aus, als eine Gruppe von Bauarbeitern uns die typischen Fragen stellten: woher, wohin, warum, Familienfotos. Die Frau schlug die Wörter nach, da die Bauarbeiter scheinbar kaum der Schriftsprache mächtig waren. Die Männer tauten erst auf, als einer bereits die Gruppe verlassen hatte. Vorher brachten wir uns gegenseitig Skepsis entgegen und auch schienen sie nicht besonders nett über Deutsche zu reden, da erst unsere Frau gegenüber ihnen über den Mund fuhr und anschließend die Zugbegleiterin. Nachher scherzten wir dann über die Straßen Russlands und über die Frage, ob Pablo mir bereits einen Pelz geschenkt hätte. Wir zeigten ihnen unsere Fotos und bestaunten ihre verunfallten LKW auf ihrem Handy.
Übrigens machte Pablo sogar die Bekanntschaft mit einem mutmaßlichen Vertreter der russischen Mafia. Beim Fotografieren der Landschaft wurde Pablo zu seiner Herkunft aus Deutschland beglückwünscht und nach seinem Reiseziel gefragt. Auf die entsprechende Gegenfrage, zog der Russe seinen Oberkörper blank (4 Schichten Kleidung, Pablo hielt dabei souverän die Zigarette) und präsentierte seine zahlreichen Tattoos und bat um fotografische Verewigung (siehe Bilder). Pablo schien eh den kommunikativeren Eindruck hinterlassen zu haben. Er wurde sogar verdächtigt in unsere Siggflasche Vodka durch den Zug zu tragen und von einem vermutlichen Soldaten um eine Kostprobe gebeten. Am vorletzten Tag machte er dann die Bekanntschaft mit einem Kasachen, der mit drei anderen unterwegs war. Die hatten dann auch mal richtig Essen dabei und zelebrierten jede Mahlzeit mit Tee, runden Brot, verschiedensten Nüssen und sonstigen unbekannten genießbaren Sachen. Diese Gruppen durften wir ebenfalls fotografisch festhalten. Sie verstanden zwar den Begriff "Flash disk", waren jedoch von der Möglichkeit, die Bilder gleich auf der Kamera anzuschauen schwer begeistert. Sie gaben uns ihre Adresse (ein Akt für sich) und wir werden ihnen aus der nächsten Stadt mit Fotodrucker ein Foto zusenden.
Der Alltag im Zug ist geprägt vom Kommen und Gehen der Passigiere und den seltenen längeren Stopps. Es gibt kaum Unterschied zwischen Tag und Nacht (nur Lichtstärke im Zug), dies wird begünstigt durch die Tatsache, dass je weiter die Reise geht, der Unterschied von tatsächlicher Zeit (Sonnenstand) und Uhrzeit (= Fahrplanzeit entspricht immer der moskauer Zeit) größer und größer wird. Kurz vor unserem Ziel standen wir also um 4Uhr moskauer/Zugzeit auf, wobei es tatsächlich bereits 9Uhr war. Insgesamt haben wir also fünf Zeitzonen durchfahren.
Die Stopps, per Fahrplan einsehbar aber nie angesagt, waren auch weit weniger spannend als von anderen Reisenden gern geschildert. Abfahrten waren streng nach Fahrplan, kein Grund also mit Trillerpfeife Wache zu stehen. Generell läuft alles sehr diszipliniert und kontrolliert ab: abendliches Wischen, verschlossene Toiletten bei Bahnhöfen, Schichtwechsel der zwei Wagenbegleiterinnen, Frau mit Essenswagen zur Essenszeit usw. Die Toilette / Waschgelegenheit war erwartungsgemäß nicht so lecker, erinnerte an Reichsbahn D-Zug, stinkig, dreckig und immer war der Boden von irgendwas nass. Nichts weiter dazu zu sagen. Auch zur Landschaft gibt es nicht so viel zu berichten. Ohne Ende Birkenwälder, ab und zu ein kleines Dörfchen und immer wenn man denkt, es wird interessant, kommt auch schon ein Güterzug daher und verdeckt die Sicht auf die erhoffte Abwechslung. Leider schien kaum die Sonne und somit wirkte alles noch ein bisschen grauer, als es wohl wirklich ist - es ist schön, aber - wie nicht anders zu erwarten - eine herbe Schönheit... Russland eben.
Einige vermutete Highlights haben wir übrigens verschlafen, oder es gab schlicht nichts zu sehen. Eine Ansage "Ural links" gab es nicht, und auch eine Fanfare für die Grenze zwischen Europa und Asien haben wir nicht gehört - die Weite ist spektakulär und dadurch gleichzeitig nicht. Wir haben wohl aber beide einen ersten Eindruck von der Größe unseres Planeten gewinnen können.
Wir halten also zusammenfassend fest, die Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn ist interessant und eine Herausforderung an das Sitzfleisch, definitiv etwas, was man sich einmal "antun" sollte. Die entsetzten Gesichter der russischen Agenturmitarbeiterinnen in Berlin beim Buchen der Platzkarte im Großraumabteil, sehen wir nicht als gerechtfertigt. Es war zu jeder Zeit sicher und recht zivilisiert. Vodka zum Frühstück gab es zwar, aber danach keine Randale sondern nur ein Nickerchen. Ohne Kenntnis der russischen Sprache ist die Kommunikation mit Mitreisenden und den Zugbegleiterinnen schwierig bis kaum machbar, was wiederum sehr schade ist. Für uns hat es das Erlebnis "Transsib" deutlich geschmälert, da die Russen unter sich scheinbar gern und viel geredet haben. Immer wieder gab es ein Mütterchen, welches einen ganzen Waggonabschnitt unterhalten hat. Es hat sich wieder gezeigt, dass für den Austausch mit den Einheimischen Kentnisse der jeweiligen Landessprache unerlässlich sind...
PS: Geschrieben im warmen Blockhaus, veröffentlicht auf einem viel zu kalten Blech-Fensterbrett des vorgenannten Luxushotels, wohl einziger (halb-)öffentlicher Ort mit WLan im ganzen Ort.
PPS: Kommentarfunktion vorübergehend deaktiviert, da Frickelarbeit vom Script-Kiddy einen Konflikt mit den Bildern verursacht, die uns - und wohl auch Euch - wichtiger sind. Wird demnächst (aber nicht hier des Nachts auf dem Fensterbrett) repariert.
Nachtrag: Über den Amazon Kindle Keyboard hatten wir auch in der Transsib, zumindest in Bahnhöfen, Internetzugriff (3G). W-Lan, eine gern gestellte Frage, gibt es im Zug selbst natürlich nicht. Bei den längeren Halten (tw. bis zu 1h) kann man dringende Geschäfte auf einem Bahnhof abwickeln (manchmal freies WLAN, häufiger: Internetcafés).