16.01.2012 Shanghai nach Liulian - Odyssee durch Raum und Zeit
Aus RTW
Mit den Bildern einer Fernsehdokumentation einer ursprünglichen Landschaft und der außergewöhnlichen Architektur der Hakka-Dörfer im Kopf, machten wir uns auf, von Shanghai nach Longyan, über 1000 km an der Küste entlang, in den Süden. Diesmal kann man tatsächlich von einem Kampf sprechen.
Das chinesische Neujahrs- oder auch Frühlingsfest (beginnt dieses Jahr am 22.01.) ist das wichtigste Familien- bzw. Clanfest in Südostasien. Dementsprechend setzt zu dieser Zeit die größte Migrationsbewegung der Welt ein. In über zwei Milliarden Reisebewegungen reisen überwiegend die Arbeiter, die nicht in der Heimat arbeiten, gleichzeitig durchs Land und es kommt erwartungsgemäß zu einer totalen Überbelastung des Transportsystems und zu einer akuten Ticketknappheit. Zweimal sprachen wir ohne Erfolg beim Fahrkartenschalter in Shanghai vor, jedesmal mit einem anderen Ziel (zunächst eines im Westen, dann eins im Süden). Schließlich entschieden wir uns für eine Stadt, die auf dem halben Weg zu unserem Ziel lag. "Durchhangeln" war also angesagt. So erreichten wir zunächst, nach fünf Stunden Zugfahrt, Fuzhou. Von dort bekamen wir, nach einer Stunde Stadtbus, ein Busticket nach Xiamen. Dank eines jungen Chinesen, der uns in Fuzhou vom Bahnhof zum Busbahnhof begleitete (es war auch seine Strecke), uns beim Ticketkauf half und sogar leckere Kekse auftrieb und uns mitgab, saßen wir zum Glück noch am gleichen Abend im Bus Richtung Xiamen, von wo man die Hakka-Dörfer gut erreichen kann.
Also kamen wir, nach weiteren zwei Stunden im Bus, ziemlich fertig kurz vor 22 Uhr in Xiamen an, wo wir irgendwo - die anderen Fahrgäste waren auch nicht angetan - abseits des Zentrums, an der Endstation, aus dem Bus stiegen. Ohne eine Idee, wo das Zentrum liegt, liefen wir nach Kompass Richtung Meer und vermuteten Hafen. Aber schon an der nächsten Kreuzung hatte uns die chinesische Realität wieder ein. Die Städte sind immer größer als man denkt und die Wege weiter und die Straßenschilder wenig hilfreich. Auf der Suche nach einem Hotel, was bezahlbar war und Ausländer akzeptiert (die kompliziertere Anforderung), fragten wir ein junges chinesisches Paar um Rat. Wie so oft griffen sie sofort zum Handy und riefen jemanden an, der leidlich Englisch spricht und eigentlich nie eine Hilfe ist (diesmal wurde am anderen Ende der Leitung nur gekichert). Nach einem zweiten Anruf und einem kurzen Weg bogen wir auf einen Hinterhof ein, den wir allein niemals wahrgenommen hätten. Aber im zweiten Stock duftete es tatsächlich nach frischen Handtüchern und eine Familie vermietete unter der Hand ein paar Zimmerchen mit fragwürdiger Nasszelle für 80 RMB. Eigentlich nicht günstig, aber wir waren so froh (auch in Angesicht der ansonsten unerklärlich horrenden Hostel-Preise in Xiamen), dass wir uns noch mit einer unserer kostbaren RitterSport Nougat erkenntlich zeigten. Ohne Abendessen fielen wir schon um 23 Uhr ins Bett.
Bereits um 7 Uhr klingelte am nächsten Morgen der Wecker, schließlich wollten wir es endlich zu den Hakka-Dörfern schaffen, die noch immer über 200 km und unzählige reisewütige Chinesen entfernt waren. Dem Lonely Planet folgend, suchten wir einen Stadtbus, der uns zum Busbahnhof im Zentrum bringen sollte, von wo ein Bus nach Longyan (die Wahl dieses Zwischenzieles stellte sich im Nachhinein als unnötiger Fehler heraus) fährt. Wieder fragten wir Chinesen um Hilfe, aber anstatt, dass sie sich auf unser eigentliches Ziel, den Busbahnhof konzentrierten, wollten sie unbedingt wissen, wo wir denn mit dem Langstreckenbus hin wollen. Leider gaben wir ihnen diese Information worauf sie uns übereifrig auf den gleichen Busbahnhof hinwiesen, wo wir am Abend davor angekommen waren. Ganz ihrem vermeintlichen Wissen folgend, gingen wir zurück und fanden immerhin einen Stand mit frischen Mantu (Dampfbrötchen) zum Frühstück. Am Busbahnhof angekommen erfuhren wir jedoch nur, dass es von dort keinen Bus nach Longyan gibt und wir zu dem Bahnhof müssen, den wir eigentlich angesteuert hatten. Wieder einmal zeigte sich, dass man den Chinesen nur häppchenweise Informationen reichen darf. Bekommen sie zu viele Begriffe, flechten sie ihre eigene Geschichte drum, die sich leider selten mit unserer deckt. Leicht gefrustet über die verschwendete Stunde und das Herumirren, stiegen wir dann doch in einen Stadtbus, mit stückweise einsetzender Orientierung schafften wir es, nur zwei Stationen zu spät auszusteigen und den Busbahnhof anschließend zügig zu erreichen. Wie zu erwarten war der kleine Busbahnhof gut besucht, trotzdem hatten wir nach kurzer Wartezeit unser Ticket nach Longyan in den Händen und überlegten, wie wir unsere Weiterreise nach der Zeit bei den Hakka-Dörfern sichern konnten. Schließlich rückte das Neujahrsfest immer näher und Tickets waren bereits Mangelware. Ratlos, wie wir scheinbar aussahen, wurden wir wieder von einer jungen, hyperaktiven Chinesin angesprochen, die sich im perfekten Englisch nach unserem Begehr erkundigte. Dank ihr erfuhren wir, dass es von Xiamen keine Tickets nach Guilin oder Nanning mehr gibt, zwei Städte weiter im Westen mit vielversprechender Karstlandschaft. Dafür gab es jedoch Hoffnung auf einen Bus von Longyan (Tickets von dort sind jedoch nur vor Ort buchbar), was unser nächster Stopp war.
Nach guten zwei Stunden holpriger Busfahrt kamen wir in Longyan im strömenden Regen, aber deutlich wärmer als in Shanghai an. Wieder lag der Busbahnhof deutlich abseits des Zentrums, was uns den Ort kleiner erscheinen ließ, als er tatsächlich ist. Und wieder standen wir am Fahrkartenschalter und fragten nach Tickets in den Westen, wodrauf wir ein abweisendes Nein bekamen. In der Hoffnung auf ein Zugticket wanderten wir fast eine Stunde im Regen entlang der Gleise, vorbei an einer etwas versteckten Brücke, zum Bahnhof. Hier gab es, fast wie zu erwarten, ebenfalls keine Tickets an unserem Wunschtermin (+/- 2 Tage). Also ging es wieder zurück zum Busbahnhof, wo wir schlussendlich widerwillig ziemlich teure Tickets für einen Übernacht-Schlafbus nach Nanning kauften. Wie sich dann noch herausstellte, hatten wir durch das viele Hin- und Herlaufen den letzten Bus zu unserem eigentlichen Tagesziel verpasst, so dass wir wiederum eine Nacht in Longyan verbringen mussten - dies auch auf Grund der Tatsache, dass unser Wunschbus abermals nicht vom gleichen Busbahnhof abfuhr, an dem wir zuvor ankamen. Nach fast einer Stunde Stadtbus mit freundlichem Fahrer, und dank einer stummen, aber hilfreichen Schülerin fanden wir in der Nähe des richtigen Busbahnhofs ein bezahlbares Hotel, was uns als Ausländer aufnehmen konnte (die lästigen Formalitäten haben sie sich dem Anschein nach aber dennoch gespart - wer kann auch deutsche Buchstaben lesen?!) und sogar ein passables chinesisches Frühstücksbuffet im Preis enthielt. Somit verging ein weiterer Tag auf unsere Reise zu den Hakka-Dörfern, wo wir am nächsten Tag gegen Mittagszeit doch endlich ankamen.
Zusammenfassend kann man also sagen, dass wir fast drei Tage, vom 13.01. bis 15.01.2012, gebraucht haben um 1300 km zurückzulegen, wobei wir fünf Stunden mit dem Zug und insgesamt zehn Stunden mit Bussen gefahren sind... und das, wo die große Reisewelle erst noch anstehen soll! Im letzten Reiseabschnitt ist uns ein Fehler unterlaufen, welcher einen Tag Reise hätte vermeiden können. Statt über Longyan nach Liulian (Hongkeng Tulou-Cluster) zu fahren, hätten wir von Xiamen einen touristischen, aber existierenden, Direktbus nehmen können. Dies hätte aber gleichzeitig bedeutet, dass wir nicht bereits die Tickets für die Weiterreise in der Tasche gehabt hätten, und somit vermutlich fraglichen Tag beim Versuch der Abreise mehr gebraucht hätten.
Fakten
- Bahnticket Shanghai - Fuzhou 264 RMB / Person im Schnellzug
- Bus Fuzhou - Xiamen 97 RMB / Person (leider mit Versicherung gebucht)
- Bus Xiamen - Longyan 78 RMB / Person
- Bus Longyan - Liulian 23 RMB / Person