21.03.2012 Kon Tum - Stadtmensch als Buschführer

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40km Motorradfahrt - Warten auf den Führer - Alkoholprobleme - keine Ratten, keine Frösche - erzwungenes Fisch-BBQ

Kon Tum sollte eines unserer ganz großen Highlight in Vietnam werden - eine mehrtägige Wanderung im Urwald. Natürlich wollten wir es soweit wie möglich ohne Guide machen, gingen jedoch auf Empfehlung des Stefan Loose Reiseführers ins Eva Café um dort mit dem Besitzer, Án, einer lokalen Größe, zu reden und uns Ideen und Tipps zu holen. Und Án hatte viel zu erzählen, von seinem Beitrag für den Schutz der Bahnar-Minderheit, wie diese leben und wie gefährlich der Urwald ist. Seine Begeisterung für die Leute und ihr Leben im Dschungel ist ansteckend, ganz besonders mit dem Motto "they eat the forrest and the forrest eats them" ("sie essen den Wald, und der Wald isst sie"). Gänzlich autark leben sie weit von der Straße entfernt im Dschungel und ernähren sich vom Reisanbau, für den sie brandroden, und von der Jagd. Besonders letzteres klingt interessant, wenn dadurch für uns Exotisches auf den Tisch kommt. Aber, hier schränkte Án gleich ein, das meiste davon könnten wir eh nicht essen. Sowas wie Frösche, Ratten und Maden sind nichts für ungeübte Mägen und schon gar nicht auf die Art, wie die Bahnar kochen: viel zu salzig. Trotzdem klang sein Angebot für eine Dreitageswanderung mit zwei Übernachtungen bei den Bahnar und lokalem Führer/Träger, der unser Überleben im Wald sichern sollte, zu verlockend. Bei dem ausgehandelten Preis zwar kein Schnäppchen aber Án hatten ja auch allerhand und vielversprechende Dinge beworben.

Und so standen wir am nächsten Morgen pünktlich um 8:30 wieder in seinem Café, bereit für die Abfahrt. Án selbst war noch mitten in den Reisevorbereitungen. In aller Ruhe packte er seinen Rucksack, trank Kaffee und stellte die Essensrationen für die nächsten Tage zusammen. Die Abfahrt sollte noch zwei weiter Stunden auf sich warten lassen.

Nach einer einstündigen, ziemlich bepackten, Mopedfahrt ging leider das Warten weiter. Der Mann, der uns als Guide begleiten sollte, war nicht auffindbar, wahrscheinlich vom Fest des Vorabends nicht wiedergekommen. Erst nach zwei Stunden war als Ersatz ein Paar mit winzigem Baby gefunden. Nachdem sich der Mann unseren Essensack auf den Rücken geschnürt hatte, ging es endlich Richtung Dschungel los. Nach wenigen Kilometern, vorbei an Maniokfeldern und frisch brandgerodeten Flächen, zwang uns ein heftiger, wohl durch die Brandrodung verursachter, Regenguss zu einer Kaffeepause in einer verlassenen Feldhütte. Weiter ging es es bergan bis hin zu einem ersten Wohnhaus, wo Án freudig erkannt und wir hereingebeten wurden. Nur mit Mühe konnte er sich, wir wollten noch weiter, der Einladung entziehen und wurde nach nur einem Gläschen Reiswein entlassen - ein Vorzeichen. Abermals wenige Minuten später erreichen wir eine kleine Häusergruppe auf einem winzigen Plateau: unser Schlafplatz für diese Nacht. Unsere Gastgeber feierten schon kräftig unsere Ankunft mit einem schier unendlichen Vorrat an Reiswein - besser noch: Unser Träger hatte, in Áns Namen, ebenfalls etliche Flaschen hochgetragen, die er sich nun gemeinsam mit den anderen und seiner (stillenden) Frau schmecken ließ. Über das Trinken wurde nahezu alles vergessen: das weinende Baby, Mahlzeiten und vielleicht sogar wir? Án kochte für uns das Abendbrot, wir aßen allein, und wies uns später eine Ecke des großen Raumes, aus dem die luftige Hütte bestand, zu, in der wir uns selbst unser Nachtlager aufschlagen konnten. Gerade als wir lagen, wurde ein neues Tongefäß mit frischem Reiswein angebrochen, zu dessen Antrinkzeremonie wir wieder aus den Schlafsäcken gerufen wurden. So tranken sie, als wir einschliefen und wieder (oder noch) als wir wieder am nächsten Morgen gegen 6 Uhr aufstanden und noch immer, als wir uns später auf den Weg machten. Das Paar vom Vortag blieb gleich dort in der Nähe des Reisweines, obwohl bei ihnen zu Hause Schweine, und eventuell noch mehr Kinder, hungerten. Dafür begleitete uns von da an der Jäger des Dorfes, so dass das angepriesene "eat the forrest"-Motto wieder greifbarer wurde.

Wieder ging es bergauf und es wurde immer dschungeliger: die Wege schmaler, die Bäume höher und feuchter. Und dann standen wir plötzlich wieder auf einem Fahrtweg, dem wir immer weiter folgten. Erst kurz vor der Mittagspause ging es wieder auf kleineren Pfaden durch Bambuswälder und durch Bäche. Zum Mittag gab es Klebreis, im Bambusrohr gekocht, leckere Fleischspieße und Melone. Alles von unserem Führer den Berg hinaufgetragen. Aus dem Wald selbst bedienten wir uns, abgesehen von ein paar wenigen Kräutern, nicht. Da waren die von Pablo gefunden Minitomaten noch das Wildeste. Überraschend schnell waren wir nach der Pause, wieder durch den nachmittaglichen Regenguss, auch schon bei unsere nächsten, diesmal unbewohnten, Übernachtungsstätte. Da Susi jedoch auf ihre Ratte zum Abendessen bestand, musste der Jäger trotz Regen nochmal mit uns im Schlepptau raus und Fallen aufstellen. Das Fangen von Fröschen lehnte er jedoch strickt ab. Die Angst vor Blutekel war anscheinend zu groß. Immerhin gab es einen Snack (der Hunger war groß, es waren sicher zwei Kilo) vom frisch ausgebuddelten Maniok (erst gekocht, dann mit Zwiebeln in Öl gewendet) und dessen Blättern vom Feld, das die Hütte umgab. Das Abendbrot bestand jedoch wieder aus Zutaten, die auf den Berg und in den Wald gebracht wurden. Immerhin wurde so der Sack für unseren lokalen Führer leichter.

Nach einer wesentlich ruhigeren Nacht, waren die Rattenfallen leer und der Frust über die nicht erfüllten Erwartungen wuchs. Zwar waren wir in tiefem Wald, die Natur war toll, wir waren sogar bereit die Realitäten Alkoholmissbrauch und Waldabholzung zu akzeptieren, dennoch fühlte sich etwas an dieser Tour falsch an. Statt Fleisch des Jägers (selbst wenn zuvor extra für uns mehr gefangen) zu essen, gab es in der Stadt vorbereitete Fleischspieße aus der Tupper-Dose. Statt lokale Kräuter zu Tee zu verkochen, tranken wir (sicher lecker aber daneben) jeden Tag Kaffee-Konzentrat aus Plastikfläschchen. Statt uns proaktiv Pflanzen und ihre Wirkung zu erklären, war selbst das Fragen schwierig, während wir versuchten unseren Weg zu genießen und gleichzeitig nicht den Anschluss, an unsere eigene Tour, zu verpassen, da unseren beiden Sachkundigen stets gut vorweg eilten und kaum einen Fotostopp anboten.

Es war definitiv gutes Essen "eat", und das im "forest" (Wald) - aber die Verbindung zwischen ihnen fehlte. Wir lebten nicht vom Wald, sondern transportierten alles selbst dorthin, wie auf einer Reise durch eine lebensfeindliche, und unbeherrschbare, Umgebung. Statt unser Gepäck auf einige wenige Luxusprodukte zu beschränken, wurde jede Mahlzeit aus dem viel zu Großen Sack unseres Träges, der Arme, bestritten. Kurzum: Án verstand es nicht die Ressourcen des Waldes zu nutzen, hätte sicher selbst nicht länger dort überlebt als es der Inhalt des Sackes seines Trägers zugelassen hätte. Schlimmer noch, fehlte ihm die Einsicht in ebenjene Tatsache, was dazu führte, dass er seinen lokalen Führer, Eingeborener und Jäger des Dorfes, nicht um Rat bat. Statt als Übersetzer zwischen dem Bahnar-Mann und uns zu fungieren, filterte er die leidlichen Konversationen und verhinderte so aktiv, dass wir am Wissen des erfahrenen Mannes teilhaben konnten.

Auf dem Rückweg zum Ausgangspunkt der Wanderung ging es leider zum großen Teil entlang des schon bekannten Pfades und erst nach gut der Hälfte wichen wir davon ab und gingen ohne Weg quer durch den Wald. Án wollte uns einen Platz zeigen, an dem einmal ein Dorf stand, oder wie er es sagte "where the forrest re-eats the people". Eine Reihe von sehr großer, sehr dicht stehender Bäume, markierten die Grenze des Dorfes. Wir folgten einem kleinen Trampelpfad und kamen an tönernden Amphoren vorbei, die auf dem Waldboden lagen. Diese wurden von den Dorfbewohnern als Dank an den Wald beim Verlassenen des Geländes zurückgelassen. Eine Geste, die heute leider die Jugend kaum noch teilt. Einige Vasen fehlen bereits. Sie wurden von Mitgliedern des Stammes zum Markt in die Städte gebracht und für gutes Geld verkauft. Abgesehen von den Amphoren war nichts mehr vom Dorf zu sehen. Auch die ehemals kultivierten Flächen waren bereits wieder zugewachsen, so dass auch viel Phantasie nicht half. Dazu kam der permanente Klang einer nahen Motorsäge, der deutlich zeigte, dass die alten Zeiten, in denen man mit dem Wald lebte vorbei sind. Heute lebt und nimmt man vom Wald und so fallen viele der alten Bäume dem Holzbedarf in den Städten zum Opfer.

Als wir die Grenze des Waldes erreichten, sahen wir wieder endlose Flächen, die frisch, zum Beginn der Regenzeit, brandgerodet wurden. Nach einem langen Abstieg kamen wir bei einer kleinen, von grünen Reisfeldern umgebenen, Häuseransammlung an. Wir hattten bereits weiter oben darum gebeten, mit den Leuten bei den Häusern essen zu können. Da es um die Mittagszeit war, hatten wir Hoffnung, dass wir tatsächlich mit anderen zusammen essen um doch noch einen Blick auf ihre Speisen erhaschen zu können, was sogar zum Teil klappte. Ein vorbeikommender Jäger, bewaffnet mit langer Elektrode und Autobatterie auf dem Rücken, zeigte uns seine Ausbeute: Fische, Krabben und Käfer, von denen wir uns ein paar aussuchen konnten, die wir am Feuer am Spieß brieten. Án hielt sich jedoch aus der Zubereitung komplett raus und war keine Hilfe, als es darum ging die noch lebendigen Tiere fachgerecht zuzubereiten. Leider aß auch die Familie nicht mit uns zusammen, bot uns jedoch von ihrem Essen an. Und siehe da: endlich gab es in Grünzeugs gekochten Frosch. Wir bedankten uns zum Abschied mit unseren restlichen Süßigkeiten, die die Mutter gleich nach einer Verkostungsrunde in Verwahrung nahm, und gingen die letzten Kilometer zurück zu den Mopeds.

Es war nicht zu verbergen, unsere Begeisterung für die Tour war mit ihrem Verlauf immer weiter gesunken. Es ist schwer einzuschätzen, was man von einem Besuch bei den Bahnar erwarten kann und die kulturellen Unterschiede scheinen gravierend. Sicher verhindert die fehlende gemeinsame Sprache und unser zögerlicher Alkoholkonsum die Völkerverständigung, unser Führer Án, angeheuert um diese Brücke zu schlagen, vermochte nicht uns mit den Einheimischen in einen Austausch zu bringen, der über gemeinsames Trinken hinaus ging. Und, tief in ihrer Welt des Reisweins, fehlte den Bahnar jedes Interesse an uns, die üblichen Fragen "Name, Familienstand, Geschwister, bisherige Reise, ..." blieben komplett aus, und in der Hütte waren es stets zwei Kreise von Menschen, kein Zusammensitzen. Dies scheint nicht nur dem Alkohol zuzuschreiben, sondern eine lokale Mentalitätssache (evtl. von uns missverstandene Gastfreundlichkeit und Respektsbezeugung) die dafür sorgt, dass wir uns stets etwas unkomfortabel fühlen.

In erster Linie hatten wir uns, trotz des recht hohen Preises, für die geführte Tour entschieden, da sie ermöglichen sollte, mit fachmännischer Begleitung, Terrain mit uns unbekannten Herausforderungen (Vegetation, giftige Tiere, UXO, ...) zu besuchen, und erstmals echten Regenwald von innen zu sehen. Vor Ort mussten wir feststellen, dass unser Führer jedoch nicht mehr Ahnung hatte, als wir mit unserer leidlichen Outdoor-Erfahrung uns auch selbst gedacht hätten. Es wurde kaum auf Essbares und Ungenießbares eingegangen und die versteckten Gefahren nicht erläutert. Wir liefen hinterher und sicher vorbei an so mancher interessanter Sache, die wir mit unserem ungeübten Auge nicht entdeckten. Sogar das selbstgewählte Motto blieb außenvor. Dies hat uns enttäuscht. Andererseits hatten wir so eine Gegend bereist und Einblicke in das Leben der Bergvölker bekommen, wovon wir sonst vermutlich Abstand genommen hätten.

Nach unserer Rückkehr nach Kontum versuchten wir Án unsere Kritikpunkte an seinem (erst kürzlich entwickeltem) Produkt Dschungeltour in respektvoller Weise zu vermitteln. Leider blieb dies erfolglos, sodass wir uns am Ende - unnötig - im Unfrieden von ihm verabschiedeten.

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